Exurge et iudica MMXX

 


Ich liebe sehr alte Bücher. Nicht nur deren Inhalte, die oft fremd, rätselhaft und überraschend sind, allein schon der Geruch und die „Haptik“ sind für mich magisch. Und vor allem ihr pures „In-der-Welt-sein“. Sie haben mehrere Bücherverbrennungen und zwei Weltkriege, ich weiß nicht wie, überstanden… Neulich fiel mir so ein altes Buch auf den Kopf. Es zeigte auf dem Frontispiz einen Olivenzweig (in meinem Kulturkreis von alters her ein Friedenssymbol) und ein Schwert - möglicherweise als Symbol für Gerechtigkeit oder Recht, wer weiß. (Vor vielen Jahren habe ich selbst als Iaidoka noch gelernt, wie man mit dem Schwert einen Menschen korrekt filetierten könnte, vielleicht bedeutete das Schwert also auch so etwas wie eine Gewaltandrohung.) 


Das Buch handelte von der Inquisition. Dabei fiel mir auf: Gott selbst hat nie einen Scheiterhaufen entzündet. „Exurge domine et judica causam tuam“ - „Erhebe dich, o Herr und vertreidige deine Sache“ war das anmaßende Motto der Inquisition, die dem Herrn vorschrieb, was er zu tun und zu lassen hatte. Die Inquisition konnte in Spanien schon mal 356 Jahre (nicht Tage) dauern. Ihr Wappen zeigte in diesem Buch einen Olivenzweig und ein Schwert, was mich stutzig machte ... 


Die Inquisitoren, die sich gegenseitig Absolution erteilen konnten, versteckten sich ebenso wie deren „Ordnungskräfte“ und „Vollzugsbeamte“ hinter einer anonymen, unsichtbaren, abwesenden Macht, die niemand ernsthaft hinterfragen durfte und in deren Namen sie nun „stellvertretend“ handelten, ohne dass diese abwesende Macht sie direkt dazu legitimiert oder sich zu dieser (Selbst-)Ermächtigung geäußert hätte. Die Legitimation der Herrschenden, dass sie die Sache Gottes rechtmäßig vertraten, blieb unbeweisbar und reine Behauptung. Es gibt keine Urkunde, in der Gott die Inquisition persönlich beauftragt hätte … Wer die Ansichten der auf diese Weise Herrschenden anzweifelte, die für lange Zeit eine „Ehe von Krone und Altar“ bildeten, wurde als Ketzer von der stellvertretenden „Hand Gottes“ verurteilt (bzw. deren Handlangern). 


Statistiker mögen einen Trost darin finden, dass nach derzeitigem Wissen schätzungsweise „nur“ 1,4% der Angeklagten, deren Anklage häufig auf Denunziation beruhte, auf dem Scheiterhaufen endeten. In wahrscheinlich 1,8% der Fälle wurden an deren Stelle Strohpuppen in Abwesenheit der Verurteilten verbrannt. Am gefürchtetsten war nach aktuellem Kenntnisstand dagegen die Verurteilung zu einer Wallfahrt nach Konstantinopel. Von dieser gefährlichen Reise lebend zurück zu kehren und von den Reisekosten nicht völlig ruiniert zu sein stelle ich mir nicht einfach vor. Die üblichen Strafen für mangelnden Gehorsam bestanden aber – in der Masse – in Bußgeldern und Hausarrest. Ich weiß daher nicht, ob es ein Zufall war, dass mir das Buch ausgerechnet jetzt begegnete. 


Freiheit ist ein Begriff, den jeder wohl ein wenig anders mit Bedeutung füllt. Aber da wir alle Menschen sind, glaube ich als Buddhist an eine große, friedvolle Schnittmenge. Das ist sowohl „deine Sache“ wie auch die meine: „causam tuam“. Anno domini MMXX ruft sie uns zu: „Exurge et judica!“.


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