Video "Liebt eure Kanaken"

Video "Liebt eure Kanaken"
(2015; Videoinstallation; 1:22 Min.; Dimensionen variabel)




Im Studium habe ich gelernt, dass es eine mögliche Aufgabe des Künstlers ist, zeitgenössische Diskurse miteinander kollidieren zu lassen. Nun denn - here we go:

In dieser Aktion zeige ich ein Schild mit der Aufschrift „Liebt eure Kanaken“ vor dem Tonsberg-Laden in Glinde bei Hamburg. Unstrittig ist, dass die damit verbundene Marke Thor Steinar seinerzeit ihren „Durchbruch“ einem rechtsextremen Publikum zu verdanken hatte. Aus Hamburg vertrieben, siedelte sich der Laden in Glinde an, einer Vorstadt von Hamburg, die von den Nazis durch Ansiedlung von Kriegsmaterial herstellenden Fabriken erst zu nennenswerter Größe gelangte, die bis heute fast ausschließlich aus Zugezogenen besteht und deren „Alteingessessene“ als Flüchtlinge nach dem Krieg sich hier ansiedelten. In dem Stadtteil, in dem der Laden sich niederliess, findet sich auch der „Nationale Widerstand Glinde“. 

Ansonsten ist Glinde ein Paradies für zugezogene Familien, insbesondere konservative „Häuslebauer“. Wie gewöhnlich siegte Profitgier über ethische Bedenken und selbst eine eigens gegründete und sehr umtriebige Bürgerinitiative vermochte - im Unterschied zu ihren Hamburger Kollegen - es nicht, den Laden aus der Stadt zu vertreiben, auch nicht mit ihren Mahnwachen vor dem Laden. Die von der Stadt massiv unterstützte Bürgerinitiative „Glinde gegen Rechts“ erhielt trotz ihrer Erfolglosigkeit zahlreiche hoch dotierte Preise und Auszeichnungen. Auch der Einsatz von Teer und ähnlichem durch Unbekannte änderte nichts an der Situation.

Es kollidieren hier in Glinde also nur durch einen Parkplatz getrennt die Diskurse „Pegida“ bzw. „Nationaler Widerstand“ mit „Zivilgesellschaft“ und „Glinde gegen Rechts“. Beide Seiten verfügen offenbar über Sympathisanten, die zu Extremismus neigen. Der Diskurs beider Seiten trägt deutliche ideologische Züge, die man am Sprachgebrauch und an Sprach-Verboten ablesen kann: Personal des Thor Steinar-Ladens bezeichnet Kritiker und Protestierende als unausgelastete, arbeitsscheue "Zecken", die "political correctness" der Glinder Zivilgesellschaft sorgte für die nachträgliche Umbenennung einer historischen Siedlung, die bis dato jahrzehntelang dem "Volksmund" folgend auch offiziell "Negerdorf" heißen durfte. 

Mich interessiert das Thema nicht zuletzt deshalb, weil ich dank der „südländischen“ Anteile in meinem „Genpool“ weiß, was mein Lieblings-MC Frederick Hahn einst mit „fremd im eigenen Land“ meinte. Als Zen-basierter Künstler werte ich jedoch nicht, ich lade lediglich dazu ein, die beiden widerstreitenden Positionen einmal gründlich zu hinterfragen! 

Und dies vor dem Hintergrund von zwei Denkern, denen ich viel verdanke: Zum einen Friedrich Nietzsche mit seinem großartigen Aufsatz „Über Lüge und Wahrheit im außermoralischen Sinne“, der auf die - scheinbar unhintergehbaren und unverzichtbaren - Lebenslügen von einzelnen Menschen, aber auch Staaten aufmerksam macht. Und Edward W. Said, den ich dank der Breuninger-Stiftung einmal kennen lernen durfte und der im Anschluß an einen Gastvortrag in Stuttgart von einem „ewigen Studenten“-Kollegen gefragt wurde, ob denn eine tolerante Gesellschaft diejenigen, die absolut nicht tolerant sein wollen, zu Toleranz zwingen dürfe oder gar müsse... Leider blieb uns Prof. Said die Antwort schuldig.  

Für mich stellt dieser „clash“ der Diskurse in mustergültiger Weise die Lebenslügen unserer Gegenwartsgesellschaft rund um das Thema Migration und Neoliberalismus dar und den Nutzen, den jede Seite auf ihre Weise daraus zieht. Wer in Hamburg lebt und mitbekommt, wie Einwanderer in soziale Brennpunkte „entsorgt“ werden und wie sich die „bessere Gesellschaft“ mit allen Mitteln wehrt, bloß keine Einwanderer in „ihren“ Quartieren unterbringen zu müssen und dergleichen, weiß was ich meine. Neulich in „meinem“ Quartier erschoss in einem Bordell eines türkischen Inhabers ein albanischer Freier einen bulgarischen Barkeeper... in Blankenese und Rothenbaum hingegen beispielsweise beträgt die Anzahl der aufgenommenen Flüchtlinge derzeit 0 (in Worten: Null). Sapienti sat! Hoffen wir auf die heilende Kraft der Liebe.

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