"Das Leben der anderen"

"Das Leben der anderen"(2014; Videoinstallation; 1:56 Min.; Dimensionen variabel)



Eine Serie bestehend aus einem Video und mehreren Fotografien , das durch den letzten Teil von Hermann Brochs Romantrilogie "Die Schlafwandler" inspiriert wurde: 
"Die Haustore sind wie schwarze Löcher. In einem steht, an die Tür gedrückt, ein Liebespaar, aus einem andern löst sich ein Hund und läuft auf drei Beinen die Straße hinauf; an der Ecke verschwindet er. Hinter manchen Fenstern brennt noch spärliches Licht, - was aber geht hinter den unbeleuchteten vor?" - 

Ich wüßte in dieser und ähnlichen Situationen gerne, welche Lebensgeschichten sich hinter den Fenstern abspielen, befürchte aber, dass, wenn ich sie kennen würde, diese mich am Ende langweilen würden - oder vielleicht gar entsetzen. So bleibt mir und den Zuschauern des Videos nichts anderes übrig, als die fehlenden Geschichten mir selbst auszudenken anhand der vorgefundenen Lebens-Spuren der anderen. Die Lebensgeschichten bleiben so in einer fiktiven Schwebe zwischen Realität und Fiktion, wobei ich diesen fiktiven Schwebezustand spannender finde als die (mitunter banale) Realität, weil er meines Erachtens in der Überschneidung von Realität und Fiktion den Blick für das "Wesentliche" schärft. Der Titel der Serie zitiert übrigens einen Film, den ich gerne empfehle und mit diesem Zitat möchte ich darauf verweisen, dass ich die von mir Beobachteten mit der gleichen heimlichen Sympathie beschattete wie der Held des gleichnamigen Films. 

Wer sich mehr für einen dokumentarischen Ansatz rund um dieses Thema interessiert, dem sei der Film "24h Berlin - Ein Tag im Leben" empfohlen. Wie Döblin und Joyce in der Literatur versuchten die Filmemacher 2008 einen Tag im Leben Berlins quer durch alle Schichten festzuhalten. Der Film bietet viele wertvolle soziologische Erkenntnisse über die deutsche Gesellschaft der Gegenwart, weshalb ich ihn sehr empfehle. Aus künstlerischer Sicht ist besonders interessant, dass der Film gerade aufgrund seiner hervorragenden Umsetzung des Konzepts sehr anschaulich die Grenzen des Genres Dokumentarfilm zeigt, denn auch der authentischste Dokumentarfilm kommt in seiner Machart nicht ohne fiktionale Elemente aus - von der Auswahl der Orte, Personen, Ereignisse, der Perspektive, der filmischen Darstellung der "erzählten Zeit", der filmischen Umsetzung von Gleichzeitigkeit etc. des Dargebotenen bis hin zur Selbstdarstellung der beobachteten Personen. 

Für einen nicht-dokumentarischen, sondern künstlerischen Ansatz ist Brochs Ansatz daher für mich aus den genannten Gründen nach wie vor ein sehr geeigneter Ausgangspunkt.

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